Station 2

Seelische Schmerzen sind unsichtbar

Seelische oder emotionale Gewalt degradiert das Gegenüber und beleidigt zutiefst seine Menschenwürde. Sie ist die häufigste Form von Misshandlung und wird oft unbewusst eingesetzt.

Da es keine sichtbaren körperlichen Verletzungen gibt, bleibt sie für Außenstehende lange Zeit unerkannt.

Seelische Gewalt kann im Rahmen einer Betreuungsbeziehung geschehen, aber auch unabhängig davon und gründet oft in einer langen Vorgeschichte von familiären Beziehungskonflikten. Nicht selten wechseln die handelnden Personen ihre Rollen, das Opfer wird zur Täterin bzw. zum Täter und umgekehrt, meist infolge eines wechselseitigen Prozesses, in dem man sich gegenseitig aufschaukelt. Ständige Kränkungen, Bedrohungen und Erniedrigungen rufen Verunsicherung, Angst und Beschämung hervor und greifen das Selbstbild und das Selbstwertgefühl an.

Häufig liegen langjährig bestehende Eheprobleme, niemals gelöste Eltern-Kind-Konflikte, subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten oder Benachteiligungen unter Geschwistern vor. Solche, in ihren Ursachen oft weit zurückliegende, ungeklärte Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten äußern sich dann im Alter in einer herablassenden, respektlosen Kommunikation und werden mit Beleidigungen und Beschimpfungen ausgetragen. Bedrohende Ankündigungen oder das Erzeugen von Ängsten und Schuldgefühlen lösen Furcht und Minderwertigkeitsgefühle aus und vergrößern die Hilflosigkeit.

Häufige Formen von Demütigungen sind das Bloßstellen durch Erzählen von Missgeschicken oder Fehlleistungen in der Öffentlichkeit, das ungeduldige Anschreien und das Zuschieben der Verantwortung für Vergesslichkeit oder Inkontinenz an die Betroffenen, obwohl es sich dabei um Krankheitsfolgen handelt.

Das Unterbinden von Kontakten zu wichtigen Bezugspersonen oder das Verweigern des persönlichen Gesprächs als „Strafe“ sind ebenso wie das ständige Beaufsichtigen und Kontrollieren – vorgeblich „aus Sorge, damit nichts passiert“ – ein Ausdruck seelischen Quälens. Spricht man über alte Menschen wie über Kinder, z.B. dass sie „brav“ gegessen hätten, dass sie jetzt „gefüttert“ werden oder „frische Windeln“ bekommen bzw. im Heim ein „Taschengeld“ erhalten, verweigert man ihnen den Respekt, den man jedem Menschen entgegenbringen sollte.

Um die Folgen seelischer Gewalt, wie z.B. Angstzustände, Unruhe, Schlaflosigkeit ertragen zu können, steigt der Medikamenten-konsum und setzt eine unaufhaltsame Spirale immer größerer Hilflosigkeit und Unselbständigkeit in Gang, wobei den älteren Menschen immer wieder vermittelt wird, dass sie für ihre Umgebung nur mehr eine Last sind.

Mann mit Gehhilfe steht vor blockierter Tür.

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